Theoderichstrophe
Geschichte und Geschichten aus Skandinavien
Runenband

U 344 Yttergärde

U 344 - Yttergärde

Allgemeine Informationen:

  • Standort: Neben der Kirche von Orkesta, Uppland
  • Datierung: Wikingerzeit, 20er Jahre 11. Jahrhundert
  • Runentypen: Langzweigrunen, größtenteils linksläufig
  • Runenritzer: Åsmund Kareson
  • Gegenstand: Runenstein, Granit

Transkription der Runeninschrift:

in ulfr hafiR o||onklati ' þru kialt||takat þit uas fursta þis tusti ka-t ' þ(a) ---- (þ)urktil ' þa kalt knutr

Deutsche Übersetzung:

Aber Ulv hat in England drei Gelder (Tribute) eingenommen. Das war das erste, das Toste zahlte. Dann zahlte Torkel. Dann zahlte Knut.

Kommentar:

Richard Dybeck, der Dichter der schwedischen Nationalhymne, war auch ein romantischer Altertumsforscher. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts suchte er im ganzen Land nach Runensteinen. Im Jahre 1868 fand er einen bei Orkesta Yttergärde auf einem zum Hof Borresta gehörenden Feld liegend, mit der Inschriftseite nach oben, bedeckt von Nesseln, Mörtel und Ziegelstaub. Dem Text fehlt die für seine Zeit typische Widmungsformel, es handelt sich um die zweite Hälfte eines ursprünglich aus zwei Runensteinen bestehenden Denkmals. Die fehlende Widmungsformel stand auf einem im 18. Jahrhundert verlorengegangenen Stein (U 343), der in der Kellertür des nahegelgenen Hofes gefunden worden war. Dessen Inschrift kennen wir heute nur noch aus einer Zeichnung von Johan Peringskiöld: "Karse und [Karlbjö]rn die ließen diesen Stein errichten in Gedenken an Ulv, ihren Vater. Gott helfe seiner [Seele] und Gottes Mutter." Die Inschrift des heute noch erhaltenen zweiten Steins berichtet in äußerst knappen Worten von Ulvs abenteuerlichem Leben.

Die Schreibrichtung des Texts ist linksläufig, lediglich die drei letzten Worte, einschließlich des außerhalb der Schlange stehenden Namens Knutr, sind rechtsläufig und damit streng genommen mit Wenderunen geschrieben. Runologisch betrachtet fällt auf, daß der Runenritzer die Beistäbe der u-, r-, l- und t-Runen weiter unten als gewöhnlich vom Hauptstab ausgehen läßt. Die Inschrift enthält nur drei Trennzeichen, was die Lesung etwas erschwert. An einigen Stellen sind die Runen undeutlich oder völlig verwittert. Die unteren Teile sämtlicher beschädigter Runen sind allerdings noch erhalten, wir wissen also, wieviele Runen die verwitterten Worte enthielten. Auch von den weit unten angesetzten Beistäben sind noch manche erkennbar. Da der Text einem gewissen Muster folgt, ist es kein Problem, die Worte an den beschädigten Stellen zu rekonstruieren. An zwei Stellen hat der Ritzer jeweils zwei Worte, die mit der selben Rune enden bzw. beginnen, "zusammengezogen": giald takat wird zu kialtakat und a Ænglandi wird zu onklati. In beiden Fällen bezeichnen die Runen, die die beiden Worte zusammenziehen, unterschiedliche Lautwerte. Da die Inschrift noch die o-Rune verwendet, um a- oder æ-Laut zu bezeichnen, und da punktierte Runen fehlen, kann sie runologisch in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts datiert werden. Der historisch belegbare Inhalt des Texts, so knapp er auch sein mag, ermöglicht eine noch genauere Bestimmung.

Während der ersten Jahrhunderte der Wikingerzeit fielen die Wikinger meist in kleinen Schwärmen in England ein, überfielen Küstengebiete oder machten kurze Streifzüge ins Landesinnere und verschwanden mit der eroberten Beute zurück übers Meer. Diese Taktik änderte sich um 990, von nun an überfielen dänische Könige England mit großen organisierten Wikingerflotten mit Kriegern aus allen nordischen Ländern unter gemeinsamer Führung. Diese Kriegerheere verwüsteten und plünderten das ganze Land, die Engländer versuchten verzweifelt, sich den Frieden zu erkaufen durch Bezahlung kolossaler Geldsummen, sogenannter Danegelder, die von Mal zu Mal höher wurden: Im Jahre 991 wurden knapp 4000 kg Silber bezahlt, 994 waren es rund 6000 kg, 1002 schon knapp 9000 kg, 1007 etwa 30000 kg, 1012 noch knapp 18000 kg. Im Jahre 1016 hörten die organisierten Wikingerzüge nach England auf, nachdem der dänische König Knut das ganze Land erobert hatte. Knut wurde im selben Jahr auch König von England und bekam den Beinamen "der Große". Das dänische Königreich, zu dem in diesen Jahren auch Norwegen und Teile Südschwedens gehörten, hatte nun seine flächenmäßig größte Ausdehnung erreicht. Im Jahre 1018 bezahlte Knut seinen nordischen Hilfstruppen einen Sold von 82500 Pfund Silber (über 30000 kg), das höchste Danegeld, das aus dem verheerten Land herausgepreßt wurde. Es ist nicht schwer auszurechnen, daß der auf dem Yttergärde-Stein erwähnte "Knut" der König von Dänemark und England ist. Als er das letzte Danegeld an seine Wikinger ausbezahlte, war Ulv von Borresta einer von ihnen.

Der zweite in der Inschrift genannte Wikingerführer ist höchstwahrscheinlich Torkel der Hohe, der legendenumwobene Häuptling der Jomswikinger, der in den Jahren zwischen 1009 und 1012 an mehreren Wikingerzügen nach England beteiligt war. Die Jomswikinger waren ein Verband von Kriegern verschiedener Nationalitäten. Sie waren für ihre Tapferkeit und Todesverachtung berüchtigt und gefürchtet und hatten ihr "Nest" in Jomsborg, das die moderne Geschichtsforschung in Wollin an der Odermündung im heutigen Polen lokalisiert hat.

Etwas schwieriger ist die Identifizierung des Toste, der als Erster Danegeld an Ulv ausbezahlt hatte. Im Gegensatz zu Torkel und Knut wird er nicht in der angelsächsischen Chronik als Anführer von Wikingerzügen erwähnt. Wahrscheinlich ist er der schwedische Wikingerführer, den Snorri Sturluson in seiner Heimskringla erwähnt: "Toste war der Name eines Mannes in Schweden, einer der mächtigsten und angesehensten Männer in jenem Land, der keinen Titel von Rang hatte. Er war ein sehr großer Krieger und verbrachte lange Zeit auf Feldzügen in Übersee. Er wurde Sköglar-Toste [Valkyren-Toste, Schlacht-Toste] genannt." Dieser Toste war auch der Vater von Sigrid Storråda, die nacheinander mit dem dänischen König Sven Gabelbart (dem Vater Knuts des Großen) und dem schwedischen König Erik dem Siegreichen verheiratet war. Auch der norwegische König Olaf Tryggvason versuchte Sigrid zu freien, aber sie weigerte sich, ihn zu heiraten, da er Christ war und nicht die alten einheimischen Götter verehrte. Toste hatte also zwei der berühmtesten Gestalten seiner Zeit als Schwiegersöhne. Die angelsächsische Chronik erwähnt ihn zwar nicht, aber für das Jahr 991 werden Olav (Tryggvason), Gudmund und Justin als Wikingerführer genannt. Man nimmt heute an, daß es sich beim Namen Justin um einen Schreib- oder Lesefehler in der Überlieferung handelt, es müßte eigentlich Tusti heißen. Auch an späteren Zügen dürfte Toste beteiligt gewesen sein, u.a. als Befehlshaber von Sven Gabelbarts schwedischen Hilfstruppen im Jahre 1003. Es ist eine naheliegende Vermutung, daß Ulv aus Borresta in Mittelschweden zuerst im Dienst des schwedischen Häuptlings Toste auf Wikingerfahrt gegangen ist.

Der Ulv des Yttergärde-Steins war also ein Mann, der mehrere Wikingerzüge in den Westen überlebt hatte und der sich unter den bekanntesten Persönlichkeiten seiner Zeit bewegte, was Ruhm und Ehre seines Geschlechts in Uppland sicher erheblich gefördert haben dürfte. Da zwischen seinen Fahrten jeweils mehrere Jahre vergingen, kehrte Ulv wohl zwischenzeitlich in die Heimat zurück, wo er wie ein Magnat leben konnte mit den enormen Reichtümern, die er in England erobert hatte. Ein derart abenteuerliches Leben so kurz und knapp aufzuzeichnen wie mit den lakonischen Worten auf dem Runenstein von Yttergärde, ist wohl kaum zu übertreffen.

Ulv von Borresta trat später auch selbst als Runenmeister in Erscheinung: Ein Stein von Orkesta (U 336), einer von Lundby (U328) und zwei Steine von Risbyle (U 160 und U 161) werden ihm als Runenritzer zugeschrieben, einer der beiden Risbyle-Steine trägt sogar seine Signatur.

Quellen und weiterführende Literatur

  • BRATE, Erik (1922): Sveriges Runinskrifter. Natur och Kultur 11. Bokförlaget Natur och Kultur, Stockholm.

  • DÜWEL, Klaus (2001): Runenkunde. 3. Auflage. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar.

  • ENOKSEN, Lars Magnar (1998): Runor - Historia, Tydning, Tolkning. Historiska Media, Lund.

  • JANSSON, Sven B.F. (1987): Runes in Sweden. Gidlunds, Stockholm.

  • MONSEN, Erling (Ed.)(1932): Snorre Sturlason - Heimskringla or The Lives of the Norse Kings. Nachdruck 1990. Dover Publications, New York.

  • OHLMARKS, Åke (1978): 100 Svenska Runinskrifter. Bokförlaget Plus, Borås.

  • ORRLING, Carin (Red.) (1995): Vikingatidens ABC. Statens Historiska Museum, Stockholm.

  • VON FRIESEN, Otto (1932): Runorna. Nordisk Kultur VI. Albert Bonniers Förlag, Stockholm.