Theoderichstrophe
Geschichte und Geschichten aus Skandinavien
Runenband

U 519 - Salmunge

U 519 - Salmunge

Allgemeine Informationen:

  • Standort: Bei der Ortschaft Salmunge in der Gemeinde Skederid, Sjuhundra Härad, Uppland
  • Datierung: Wikingerzeit, 11. Jahrhundert
  • Runentypen: Langzweigrunen des jüngeren Futhark
  • Runenritzer: Tule
  • Gegenstand: Runenstein, hellgrauer Granit

Transkription der Runeninschrift:

* iubrn : uk × ini : riti × işrn : iftiR + iRbrn : faşur : isin : şuliR * iuk * runar × şisi × isi kuş +

Deutsche Übersetzung:

Jobjörn und Änne stellten den Stein auf in Gedenken an Erbjörn, ihren Vater - Tule schrieb diese Runen - möge Gott [ihn] sehen.

Kommentar:

"Wenige Runensteine haben während des 17. und 18. Jahrhunderts so großes Interesse und so viele Erwartungen geweckt wie der Salmunge-Stein", schreibt Elias Wessén, einer der bedeutendsten schwedischen Runologen des 20. Jahrhunderts, in den 40er Jahren über den Runenstein bei Salmunge. Mit den handwerklichen Fähigkeiten des Runenritzers ist Wessén durchaus zufrieden: Die Ritzung ist ziemlich flach, aber insgesamt deutlich und gut erhalten. Der Ritzer kennt wohl die Formen der Runen und beherrscht die Ritzungstechnik. Er schreibt gleichmäßig und sicher. Die Lesung der Inschrift ist an keiner Stelle zweifelhaft.

Umso mehr zweifelt Wessén am Inhalt der Inschrift und an der Kompetenz des Ritzers, ein angemessenes Runendenkmal zu schaffen: Er sieht eine eigentümliche Mischung von normalen Wortformen und schwer zu deutenden Runenfolgen. Das seiner Ansicht nach isoliert stehende Wort kuş (Gott) ist der Gebetsformel entnommen, die viele Inschriften aus der späten Wikingerzeit abschließt. Mehr hat in der Runenschlinge nicht Platz gefunden. Die Inschrift enthält weitere verwirrende Fehler und es ist schwer zu entscheiden, inwieweit sie eine wirkliche Gedenkinschrift mit übersetzbarer Bedeutung ausmacht, oder vielleicht nur einen Versuch, ein dekoratives Denkmal traditioneller Art, geschmückt mit Runen. Wessén vermutet, daß der Ritzer einer Schablone gefolgt ist, die er nur teilweise deuten konnte. Er scheint "nur runenkundig aber nicht schreibkundig" gewesen zu sein. Als ihn die Schablone im Stich ließ, hat er die Lücken mit Runen nach freier Wahl aufgefüllt. Das könnte auch das isoliert am Ende der Inschrift stehende kuş erklären: Als der Platz zuende war, war unwiderruflich schluß. Nach Wesséns Ansicht hat sich der Ritzer nicht sehr darum gekümmert, ob die Inschrift auch eine sprachliche Bedeutung bekommt. Unter diesen Umständen macht Wessén keinen selbständigen Versuch, den Inhalt der Inschrift eingehender zu interpretieren, oder die Namen ini und şuliR sowie die Worte işrn und isi zu deuten.

Andere Runologen schließen sich Wesséns Kritik am Runenritzer an. Dem Niederländer Jan Meijer geht sie allerdings etwas zu weit: Wesséns Kommentar scheint ihm auf einen "echten Analphabeten" hinzudeuten. Meijer selbst findet jedoch "ein oder zwei Dinge", die ihm eine Charakterisierung als "schwacher Buchstabierer oder leidlicher Halb-Literat" angemessener erscheinen lassen.

Auch mit der Ornamentik des Runensteins ist Wessén nicht zufrieden: Sie hat kein vergleichbares Gegenstück und weicht ab von dem, was in dieser Gegend Upplands üblich ist. Obwohl er keine eigentlichen ornamentalen Mängel aufzeigt, kommt Wessén doch zu einem harten Gesamturteil: "Die Eigentümlichkeiten der Inschrift finden eine natürliche Erklärung darin, daß der Ritzer nach allem Dafürhalten kein erfahrener Meister war und seine Aufgabe vielleicht nicht war, ein Denkmal im üblichen Sinne zu schaffen."

Wessén deutet nicht an, welchen anderen Zweck der Ritzer mit einem so mangelhaften Produkt wohl verfolgt haben könnte und warum der Auftraggeber mit dem Ergebnis so zufrieden war, daß der Stein an einem Ort aufgestellt wurde, wo er auch heute noch, bald tausend Jahre später, studiert werden kann. Wer sich dem Salmungestein heute nähert, hat nicht direkt den Eindruck, vor einem so inkompetenten Pfuschwerk zu stehen, wie Wessén es sieht. Ein einzigartiges Arrangement ist nicht dasselbe wie ein mangelhaftes. Die Ornamentik kann man vergleichen mit dem bemerkenswerten Runenstein Vs 13 beim Anundshög nahe Västerås. Und nicht jedes akzeptable Runendenkmal muß von einem "erfahrenen Meister" gemacht sein. Wesséns Feststellung, daß die Inschrift inkompetent formuliert ist und daß der Text abrupt endet, kann Henrik Williams, Runologe an der Uppsala Universitet, nicht unkritisch akzeptieren. Er hat daher dem Salmungestein eine gründliche Analyse gewidmet und die Inschrift neu übersetzt. Er kommt zu einem ganz anderen Ergebnis hinsichtlich der Kompetenz des Runenritzers.

Die besondere Ornamentik und die an einigen Stellen abweichende Orthographie des Salmungesteins geben einen Einblick in die Psychologie des Ritzers. şuliR wählt nicht das Selbstverständliche, kann aber auch nicht zu sehr vom Üblichen abweichen, da dies über das allgemeine Verständnis hinausgehen würde.

Im Gegensatz zu Wessén erkennt Williams, daß fast die gesamte Inschrift für zeitgenössische Leser aufgrund des Verständnisses des zu erwartenden Inhalts ziemlich leicht zu deuten war, da die Runeninschriften der ausgehenden Wikingerzeit fast alle einen formelartigen Aufbau hatten. Die Leserichtung, mit Beginn von rechts und gegen den Uhrzeigersinn, ist sicherlich etwas ungewöhnlich, aber der Kopf der Schlange signalisiert wie so oft, wo die Inschrift beginnt. Die Gedenkformel wird zu "A und B stellten den Stein auf in Gedenken an C, ihren Verwandten. D schrieb diese Runen." Die abschließenden sechs Runen bilden eine christliche Gebetsformel, in diesem Fall mit dem bisher einzigartigen Wortlaut "möge Gott [den Verstorbenen] sehen".

Die ganze Inschrift des Salmungesteins kann also genau so gelesen und gedeutet werden, wie sie auf dem Stein steht. Der Ritzer Tule hat "eine orthographisch und formulierungsmäßig voll zufriedenstellende Inschrift" erstellt, wenn auch in gewissen Teilen unkonventionell, aber damit auch anspruchsvoller. Streng genommen gibt es höchstens zwei Mängel: Die vermutlich flüchtige Singularform riti statt ritu, und die r-Rune in işrn für "Stein". Sie stellen jedenfalls keine Gefahr dar, daß man den Inhalt mißverstehen könnte. Die Runenritzung des Salmungesteins "verdient daher keinesfalls die herabsetzende Beurteilung, die ihr Elias Wessén so reichlich hat zukommen lassen. Ihr Autor ist sowohl runenkundig als auch schreibkundig gewesen und ist bei weitem keiner Schablone gefolgt, ganz im Gegenteil."

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Henrik Williams, Professor für Nordische Sprache, Institutionen för nordiska språk, Uppsala Universitet, für die Vorabinformation über seine Neuübersetzung und -bewertung des Salmungesteins.

Quellen und weiterführende Literatur

  • WESSÉN, Elias & JANSSON, Sven B.F. (1943-46): Upplands runinskrifter 2. Sveriges Runinskrifter utgivna av Kungliga Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien, Stockholm. Band 7.

  • WILLIAMS, Henrik (2007): Salmungestenen - ett utdrag ur en nytolkning. Persönliche Information, 09.01.2007.